In einem Gastbeitrag erklärt Adam Fischer, warum er Mimikama und Fridays for Future Deutschland mit dem Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf auszeichnet:
Als ich den Posten des Principal Conductor der Düsseldorfer Symphoniker annahm, habe ich mir überlegt, wie wir an der Tonhalle musikalisches Engagement mit gesellschaftlichem Engagement verbinden könnten. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich selbst in verschiedenen Menschenrechtsorganisationen aktiv, zum Beispiel im ungarischen Helsinki-Komitee. Und so ist mit großer Unterstützung aus der Tonhalle die Idee eines Menschenrechtspreises entstanden – dem ersten überhaupt, der von einem Konzerthaus vergeben wird. Die Auszeichnung ist mir eine echte Herzensangelegenheit. Seit 2016 verleihen wir im Rahmen eines Sonderkonzerts mit den Düsseldorfer Symphonikern den Preis an eine Person oder Organisation, die sich in besonderem Maße für die Menschenrechte einsetzt. Dank der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Tonhalle ist die Auszeichnung mit einem Preisgeld von 10.000 Euro verbunden.
Am 14. März werde ich im Rahmen des diesjährigen Menschenrechtskonzerts in der Tonhalle den Preis gleich zweimal vergeben, weil im vergangenen Jahr das Konzert aufgrund der Corona-Pandemie ausfallen musste. Die Preisträger sind Klimaschützer und Kämpfer gegen Fake News:
Der Menschenrechtspreis 2020 geht an Mimikama. Der Verein mit Sitz in Wien engagiert sich seit 2011 gegen jegliche Form von Internetmissbrauch. Mittels verschiedener Social-Media-Kanäle und einer Webseite macht Mimikama rassistisch motivierte Inhalte und Falschmeldungen transparent. Mimikama hilft Nutzern dabei, Falsches von Fakten zu unterscheiden.
Die Preisträger 2021 sind Fridays for Future. Die Bewegung von Schülerinnen, Schülern und anderen jungen Menschen setzt sich weltweit für den Klimaschutz ein. Nach dem Vorbild von Greta Thunberg und ihrem “Schulstreik für das Klima“ demonstrieren seit 2018 auch in Deutschland tausende Kinder und Jugendliche für die Einhaltung der Klimaziele, die 2015 von den UN-Staaten im Pariser Abkommen beschlossen wurden.
Warum ein Menschenrechtspreis für Internet- und Klimaaktivisten, werden Sie sich vielleicht fragen?
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, welches Dilemma entsteht, wenn die Interessen Einzelner mit dem gemeinschaftlichen Interesse kollidieren. Viele Menschen müssen aktuell auf persönliche Freiheiten verzichten, um vulnerable Gruppen zu schützen, obwohl sie selbst wahrscheinlich ein geringes Risiko haben schwer zu erkranken. Aber wo verläuft die Grenze zwischen Gemeinschaftsinteresse und individuellem Interesse? Corona hat uns gezeigt, dass sie nicht dort verläuft, wo wir dachten und wo es uns genehm ist.
Die eigene Freiheit zugunsten anderer einzuschränken, fällt umso schwerer, je später sich die Wirkung dieses Verhaltens zeigt. Das ist ein Problem für Fridays for Future. Was ändert es schon, wenn ich jetzt auf eine Flugreise verzichte oder mein Auto stehen lasse? Die Klimakatastrophe ist gefühlt noch sehr weit weg, die schlimmsten Folgen zeigen sich vielleicht erst in fernerer Zukunft. Was wir jetzt für oder gegen das Klima tun, sieht man nicht in ein paar Wochen oder Monaten – anders als bei der Pandemie, wo ein Lockdown schon nach kurzer Zeit Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen hat, und wir trotzdem mit der Einschränkung unserer persönlichen Freiheit hadern.
Ich halte den Klimawandel für die größte gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit, um ein Vielfaches herausfordernder als Corona. Er macht es nötig, das gemeinsame Interesse zu sehen und die eigenen Interessen hintanzustellen. Wir müssen das Klima für nachfolgende Generationen schützen und dürfen unsere Freiheitsrechte nicht so missbrauchen, dass wir die Welt zerstören. „Use, but not misuse“, würde man im Englischen sagen: Wenn die Menschheit nicht lernt, Freiheitsrechte nicht zu missbrauchen, dann ist die Freiheit insgesamt in Gefahr. Jetzt ist unsere letzte Chance, die Klimakrise demokratisch zu bewältigen. Wenn wir nicht wollen, dass unsere Gesellschaft diktatorisch wird, müssen wir auf Fridays for Future hören.
Die Meinungsfreiheit ist ein kostbares Gut. Doch wie kann sie gewahrt bleiben in einer Zeit, in der Falschmeldungen und Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch sind? Mir wurde zum ersten Mal 2016 bewusst, dass die neuen Möglichkeiten, die die sozialen Medien unserer Informationsgesellschaft bieten, auch eine dunkle Seite haben. Damals häuften sich populistische Entscheidungen wie das Brexit-Referendum oder die Wahl Trumps. Facebook, Twitter und andere soziale Medien wurden dabei erheblich zur Beeinflussung der Gesellschaft genutzt und haben es überhaupt erst ermöglich, dass Fake News derart verbreitet werden konnten. Mimikama haben die Problematik von Falschmeldungen und Hetze im Internet früher erkannt als viele andere, der Verein existiert bereits seit zehn Jahren. Sie haben damals schon gesehen, was vielen von uns erst die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt hat: Um die Redefreiheit zu schützen, müssen wir gegen ihren Missbrauch und die Verbreitung von Fake News kämpfen.
Es gibt immer mehr Menschen, die Falschmeldungen für bare Münze nehmen. Das Problem ist aber nicht, dass uns falsche Propheten falsche Wahrheiten erzählen. Das Problem ist, dass die falschen Wahrheiten geglaubt werden. Wir müssen alles dafür tun, dass man Virusleugnern und Klimaleugnern nicht glaubt. Das schaffen wir nur durch Aufklärung. Wir Künstler, die in der Öffentlichkeit stehen, haben umso mehr die Pflicht und Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Wahrheit ist auch ein Menschenrecht. Und weil sich Mimikama und Fridays for Future ihr mit Haut und Haaren verschrieben haben, sind sie mehr als würdige Preisträger.
Menschenrechtskonzert und Preisverleihung werden am 14. März 2021 um 20 Uhr im Livestream auf tonhalle.de und dem YouTube-Kanal der Tonhalle kostenlos übertragen. Vertreterinnen von Fridays for Future Deutschland werden die Auszeichnung vor Ort persönlich entgegennehmen. Die Preisträger von Mimikama werden per Videobotschaft aus Wien hinzugeschaltet. Auf dem Programm des Menschenrechtskonzerts steht “Des Antonius von Padua Fischpredigt” von Gustav Mahler (Solist: Markus Eiche) und Beethovens 4. Symphonie. Adam Fischer dirigiert die Düsseldorfer Symphoniker.