„Der Kern der Mahlerschen Musik ist das Volkslied“, schrieb der Dirigent Willem Mengelberg in seinem 1923 erschienenen Mahler-Buch. Tatsächlich war Mahler ein Komponist, der sich zeitlebens an vokalen Modellen orientierte, und immer wieder griff er auch in seinen Symphonien auf eigene Liedvertonungen zurück. Besonders angetan hatte es ihm die von Achim von Arnim und Clemens Brentano 1806 und 1808 in drei Bänden herausgegebene Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Diese Poesie war für ihn ein unerschöpflicher Quell der Inspiration. Dabei spiegeln Mahlers musikalische Umsetzungen weniger den typisch romantischen Verklärungston wider, vielmehr tun sie in ihrer naturhaft-ungekünstelten, zuweilen drastischen Unmittelbarkeit so, als handelten die Gedichte direkt von der Gegenwart: Heitere und übermütige Gesänge stehen neben der Beschreibung tiefernster und auswegloser Situationen. Vor ihm hatten bereits Robert Schumann und Johannes Brahms einzelne Texte aus dieser Volksliedsammlung vertont, aber Mahler brachte es auf insgesamt vierundzwanzig „Wunderhorn“-Lieder.
Die Vertonung „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ beschäftigte Gustav Mahler in den Sommermonaten des Jahres 1893, die er in seinem „Komponierhäusl“ in Steinbach am Attersee verbrachte. Er schrieb zunächst eine Fassung für Klavier und „tiefe“ Singstimme, bevor am 1. August die Orchesterfassung fertig gestellt war. Wie in vielen Gedichten der „Wunderhorn“-Sammlung geht es auch in der Fischpredigt um das „widerspenstige Volk“, wie es Friedrich Nietzsche einmal beschrieb. Der Priester Antonius von Padua war ein Zeitgenosse des Franz von Assisi, und seine Legendenbildung begann bereits zu seinen Lebzeiten. Schon in frühen Quellen werden ihm zahlreiche Wunder nachgesagt, so etwa die den Fischen gehaltene Predigt nahe der Stadt Rimini: da sein Versuch, den Stadtbewohnern eine Predigt gegen die Lehren der Katharer zu halten, fehlschlug, richtete der Heilige seine Worte am Ufer des Meeres an die Fische, die ihm der Überlieferung zufolge genauso andächtig zuhörten wie dem heiligen Franz von Assisi die Vögel. Doch ähnlich den Menschen ändern auch die Fische nicht ihr „sündiges“ Verhalten durch Antonius' fromme Worte. Mahlers Vortragsbezeichnung „Behäbig, mit Humor“ setzt die Hörerschaft zunächst auf die falsche Fährte, denn die für das Lied ausgewählte Tonart c-Moll lässt das leichte Schmunzeln ob der grotesken Situation schnell in ein tiefsinniges Nachdenken übergehen: Mahlers Vertonung stellt die Frage nach dem (nicht nur christlichen) Wahrheitsanspruch der Menschheit. Schließlich ist die Natur solcherlei anthropozentrischen Ideologien gegenüber gleichgültig. Die Natur braucht die Menschen nicht. Aber wir brauchen sie, und wie!
Des Antonius von Padua Fischpredigt
(Achim von Arnim und Clemens Brentano)
Antonius zur Predigt
Die Kirche find’t ledig!
Er geht zu den Flüssen
und predigt den Fischen!
Sie schlag’n mit den Schwänzen!
Im Sonnenschein glänzen!
Im Sonnenschein, Sonnenschein glänzen,
sie glänzen, sie glänzen, glänzen!
Die Karpfen mit Rogen
seynd all’ hierher zogen,
hab’n d’Mäuler aufrissen,
sich Zuhörn’s beflissen!
Kein Predigt niemalen
den Fischen so g’fallen!
Spitzgoschete Hechte,
die immerzu fechten,
sind eilend herschwommen,
zu hören den Frommen!
Auch jene Phantasten,
die immerzu fasten:
die Stockfisch ich meine,
zur Predigt erscheinen.
Kein Predigt niemalen
den Stockfisch so g’fallen.
Gut Aale und Hausen,
die vornehme schmausen,
die selbst sich bequemen,
die Predigt vernehmen!
Auch Krebse, Schildkroten,
sonst langsame Boten,
steigen eilig vom Grund,
zu hören diesen Mund!
Kein Predigt niemalen
den Krebsen so g’fallen!
Fisch große, Fisch’ kleine,
vornehm’ und gemeine,
erheben die Köpfe
wie verständ’ge Geschöpfe!
Auf Gottes Begehren
die Predigt anhören!
Die Predigt geendet,
ein Jeder sich wendet.
Die Hechte bleiben Diebe,
die Aale viel lieben;
die Predigt hat g’fallen.
sie bleiben wie allen!
Die Krebs’ geh’n zurücke,
die Stockfisch’ bleib’n dicke,
die Karpfen viel fressen,
die Predigt vergessen!
Die Predigt hat g’fallen
sie bleiben wie allen.
Gustav Mahler: Des Antonius von Padua Fischpredigt aus „Des Knaben Wunderhorn“
Länge: 4 Min.
Foto: Oskar Laske, Fischpredigt, 1919. Lithografie in Farbe (c) Ausstellungskatalog Oskar Laske, Kunsthaus Wien 1996