Adam Fischer hält eine Rede in der Tonhalle

Die Reden der Preisverleihung 2025

Am 19. Januar 2025 verlieh Principal Conductor Adam Fischer zum zehnten Mal den Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf. Er zeichnete Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann aus Berlin aus, die mit ihrem Projekt »Trialog« an Schulen in ganz Deutschland mit Jugendlichen über den Nahostkonflikt, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus sprechen. Wir dokumentieren Adam Fischers Laudatio und die Dankesrede der beiden Preisträger im Wortlaut.

Laudatio von Adam Fischer anlässlich der Verleihung des Menschenrechtspreises der Tonhalle Düsseldorf 2025 an Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann am 19. Januar 2025 im Rahmen des Menschenrechtskonzerts in der Tonhalle Düsseldorf:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,   
sehr geehrte Gäste,  
liebes Publikum! 

Wohl kein Konflikt dieser Welt emotionalisiert so stark wie der Nahostkonflikt. Er polarisiert selbst Menschen, die tausende Kilometer entfernt von Israel und Gaza leben, und ihr Mitgefühl ist oft ungleich verteilt. Die tiefen Gräben zwischen der israelischen Seite und der palästinensischen Seite scheinen nahezu unüberwindbar. 

Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist. Jouanna Hassoun hat palästinensische Wurzeln. Sie ist in einem Flüchtlingslager auf die Welt gekommen und im Alter von sechs Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen. Shai Hoffmann ist deutscher Jude mit israelischen Wurzeln. Obwohl die beiden eigentlich auf verschiedenen Seiten des tiefen Grabens stehen müssten, lassen sie sich nicht gegeneinander in Stellung bringen. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Kriegsbeginn in Gaza gehen Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann gemeinsam an Schulen in ganz Deutschland, um mit jungen Menschen über den Nahostkonflikt, über Antisemitismus und über antimuslimischen Rassismus zu sprechen. Sie nennen ihr Projekt TRIALOG. Sie klären über die Lebenswirklichkeit von Israelis und Palästinensern auf, sie machen palästinensisches und jüdisches Leid sichtbar und zeigen, dass beides zugleich anerkannt werden kann. Sie wirken Unwissen, Vorurteilen und den zahlreichen Verschwörungstheorien im Zusammenhang des Nahostkonfliktes entgegen. Sie führen intensive Gespräche mit Schülerinnen und Schülern über deren Gefühle zum Krieg in Gaza und zu Israel. Sie ordnen ein, bauen Brücken, man hört sich respektvoll einander zu. In der geschützten Umgebung des Klassenzimmers bringen sie unterschiedliche Perspektiven zusammen und fördern Verständnis. Sie erklären den Jugendlichen, dass sie sich nicht für eine Seite entscheiden müssen und dass es nicht darum geht, wer Recht hat und wer Unrecht. Auf diese Weise gelingt es ihnen, nachhaltig ihre Botschaft von Menschlichkeit und einem friedlichen Miteinander zu vermitteln. 

Ich würde Ihnen an dieser Stelle gerne von meiner ungarischen Tante erzählen. Manche von Ihnen haben sicher schon von ihr gehört. Sie hieß Eva Fahidi und war auch in Deutschland recht bekannt als eine der bekanntesten Zeitzeuginnen der Shoa. Sie hat sich leidenschaftlich dafür engagiert, dass der Holocaust nicht in Vergessenheit gerät und nicht umgedeutet wird, hat in Schulen und auch vor dem Bundestag gesprochen und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 2023 ist sie wenige Wochen vor ihrem 98. Geburtstag gestorben. Meiner Tante ist wirklich das Schlimmste passiert, was man sich vorstellen kann. Vor ihren Augen wurden ihre Mutter und ihre kleine Schwester in die Gaskammer geschickt, auch ihr Vater starb in Auschwitz. Insgesamt 49 ihrer Familienangehörigen fielen dem Holocaust zum Opfer.  

Trotzdem hat sie Zeit ihres Lebens gesagt, dass der Hass besiegt werden muss. Trotz ihrer furchtbaren Erfahrungen wollte sie niemanden beschuldigen. »Ich möchte nicht, dass Hass meine Seele beschmutzt«, hat sie einmal gesagt. Denn kaum einer wüsste wohl besser als sie, dass Hass die niederträchtigste Gesinnung ist, die es gibt. Hass vernichtet die Menschen. Meine Tante hat vielen Menschen gezeigt, dass aus Verzweiflung Hoffnung entstehen kann und dass Hass nirgendwohin führt. 

Gegen den Hass zu kämpfen, ist wichtiger denn je. Hass ist wie Sauerstoff für jeden Kriegstreiber und jeden Populisten. Vor wenigen Tagen hat Mark Zuckerberg angekündigt, Faktenchecks auf seinen Plattformen Facebook und Instagram abzuschaffen, morgen wird Donald Trump zum zweiten Mal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Man muss kein Prophet sein um zu wissen, dass Falschmeldungen und Desinformation besonders in den sozialen Medien noch einmal zunehmen werden. Auch über die aktuellen Ereignisse in Israel und Gaza werden auf Social Media Fake News und Gerüchte verbreitet. Objektiv überprüfbare Fakten von beiden Seiten zu erhalten, ist nicht immer leicht. Bei den Debatten über den Nahost-Konflikt spielen vor allem Emotionen eine Rolle. 

Deshalb ist die Arbeit von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann so wichtig. In Zeiten, in denen Populismus und Vorurteile immer stärker um sich greifen und Politik zunehmend emotionalisiert wird, bemühen sich die beiden darum, dass die Menschen im Gespräch bleiben, sich gegenseitig zuhören und Empathie füreinander aufbringen. Mit ihrem persönlichen Beispiel zeigen sie, dass es auch anders geht: Wir als muslimische, palästinensische, jüdische oder israelische Menschen müssen uns nicht hassen. Wir müssen keine Feinde sein, wir haben auch sehr viele Gemeinsamkeiten. 

Auch wenn Friede offiziell und auf dem Papier kein Menschenrecht ist, sind Menschenrechte und Friede eng miteinander verbunden. Fehlt das eine, ist auch das andere in Gefahr. Dass heute eine Waffenruhe in Kraft treten und mit der Freilassung der Geiseln begonnen werden soll, macht Hoffnung. Wie stabil das Abkommen zwischen Israel und der Hamas ist, wird sich zeigen. Es werden aber nicht nur im Nahostkonflikt, sondern auf der ganzen Welt ethnische Gruppen gegeneinander aufgebracht und manipuliert. Populisten und Radikale leben davon, dass sie Hass säen. Und diese Radikalen sind heute weltweit und in einem erschreckenden Maße auf dem Vormarsch. Wir müssen alles tun, damit sie an Einfluss verlieren. Damit der Weg geebnet wird für Frieden, Humanität und Mitgefühl. Ich habe große Bewunderung für alle, die sich dem Hass entgegenstellen und für Verständigung einsetzen. Was Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann tun, sollte für uns alle ein Beispiel sein. Sie sollen viele Nachahmer finden. Wir müssen uns Populisten, Kriegstreibern weltweit viel entschiedener als bisher entgegensetzen, weil ihr wachsender Einfluss in letzter Zeit immer bedrohlicher wird. Der Menschenrechtspreis der Tonhalle 2025 geht vor diesem Hintergrund an zwei sehr würdige Preisträger.  

Dass wir die Auszeichnung nun schon zum zehnten Mal vergeben dürfen, verdanken wir dem Freundeskreis der Tonhalle und der Stadtsparkasse Düsseldorf, die gemeinsam das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro stiften. Vielen Dank für Ihre Unterstützung und für Ihr gesellschaftliches Engagement! Ich bedanke mich auch bei den Düsseldorfer Symphonikern, bei Intendant Michael Becker und dem Team der Tonhalle für die Unterstützung und den Zuspruch für dieses Projekt.  

Und nun freue ich mich sehr, Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann den Menschenrechtspreis der Tonhalle 2025 überreichen zu dürfen. – Bitte kommen Sie zu mir auf die Bühne! 

Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun halten eine Rede

Dankesrede von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann

Jouanna Hassoun: 
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Fischer, lieber Herr Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf und liebes Orchester, 
wir freuen uns sehr, dass Sie sich entschieden haben, unsere Arbeit in diesem Jahr mit dem Menschenrechtspreis zu würdigen. Wir fühlen uns geehrt. Gleichzeitig sehen wir in dieser Auszeichnung eine Verantwortung. Wir beschäftigen uns mit den Wurzeln des Konflikts zwischen jüdischen und palästinensischen Menschen schon unser Leben lang. Jetzt ist er in einer Weise in der deutschen Gesellschaft angekommen, dass auch hier ein Wegsehen unmöglich geworden ist. Daher wollen wir schildern, was wir beobachten und was wir verlangen.

Dieser Konflikt mit seiner hundertjährigen Geschichte fordert jede und jeden Einzelnen heraus, eine Antwort auf die Frage zu finden: Welchen Beitrag möchte ich, welchen Beitrag kann ich dazu leisten, der Polarisierung entgegenzuwirken und Menschenrechten in einer Weise Geltung zu verschaffen, dass sie nicht einer Seite mehr Raum, mehr Handlungsfähigkeit, mehr Sichtbarkeit verschaffen als der anderen? Unsere Botschaft lautet: Es gibt keine zwei Seiten. Sondern Mehrdeutigkeiten und Gleichzeitigkeiten, die es auszuhalten gilt. Auch für uns beide. Obwohl wir zwei uns schon lange kennen und jede Woche gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern in den Austausch gehen, geraten wir immer wieder an Punkte, an denen wir selbst innehalten und unsere Perspektiven abgleichen müssen.

Shai Hoffmann: 
Was wir sicher sagen können: Es gibt auf allen Seiten unermessliches Leid, das seit Jahrzehnten Leben auslöscht oder zerstört und jetzt einen weiteren dramatischen Höhepunkt erlebt. Der Konflikt ist in einen Krieg gegen die Menschlichkeit ausgeartet. Der Anschlag am 7. Oktober hat auf brutalste Weise 1.200 Menschen ihres Lebens beraubt. Zudem bangen rund hundert Familien um ihre Angehörigen, die über ein Jahr lang in Gaza von extremistischen palästinensischen Milizen gefangen gehalten wurden. Der entsetzliche anhaltende Krieg in Gaza hat bereits über 45.000 Menschen getötet. Millionen wurden traumatisiert. Die Kriege und Konfliktherde breiten sich in der ganzen Region aus. Wir sind vorsichtig optimistisch über die jetzt beschlossene Waffenruhe, die seit heute Morgen in Kraft getreten ist. Wir atmen auf, dass die Waffen ruhen, die Geiseln zurückkehren und sich die Menschen im Gaza hoffentlich langsam wieder erholen können, auch wenn alles enorm fragil wirkt und die Region noch weit weg ist von einem Leben in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen.

Seit über einem Jahr versuchen wir, in deutschen Schulklassen Trauer, Wut und Verzweiflung aufzufangen. Diese Arbeit fordert uns auf allen Ebenen heraus. Denn auch unsere Familien sind direkt von diesem Krieg betroffen. Jouannas Familie im Libanon musste unter israelischen Bombardements um ihr Leben fürchten. Cousinen und Cousins haben teils ihre gesamte Existenz verloren. Das Leben der Palästinenser*innen ist von tiefgreifender Ungerechtigkeit geprägt. In Gaza und den illegal besetzten palästinensischen Gebieten leiden sie unter Besatzung, Entrechtung und täglicher Gewalt – verlassen und vergessen sowohl von ihrer eigenen vermeintlichen Regierung als auch von der Welt. Dennoch kämpfen Palästinenser*innen unermüdlich für ihr Recht auf Existenz, Anerkennung und Würde.

Jouanna Hassoun: 
Shais Familie in Israel lebt unter der ständigen Bedrohung von Raketenangriffen. Noch vor kurzer Zeit wurde Israel fast jede Nacht aus dem Jemen von den Huthis mit zum Teil ballistischen Raketen und Drohnen beschossen. Gleichzeitig befindet sie sich in einer Gesellschaft, in der die israelische Regierung demokratische Räume systematisch verengt und extremistische Ideologien immer weiter verbreitet. Durch das Teilen unserer Geschichten wollen wir zeigen: Für uns ist gegenseitige Empathie der grundlegende Wert unseres Zusammenlebens. Wir machen aber auch klar: Wir möchten, dass auch ihr uns zuhört. Denn wir wollen Dialog. Die Brücken, die wir damit bauen, sehen wir als Grundvoraussetzung, um Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus gleichzeitig zu bekämpfen statt sie gegeneinander auszuspielen. Wir kämpfen damit auch gegen Kräfte in Deutschland an, die für kurzsichtige parteipolitische Interessen den gesellschaftlichen Frieden aufs Spiel setzen. Das geschieht nicht nur am extrem rechten Rand.

Shai Hoffmann, Adam Fischer, Jounanna Hassoun

Shai Hoffmann: 
Es heißt oft: Die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. Der Satz ist eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Deutschland trägt Verantwortung dafür, dass sich Jüdinnen und Juden nie wieder bedroht fühlen müssen. Diese Verpflichtung halten wir für richtig. Wir sind gleichermaßen überzeugt: Diese Verantwortung darf nicht blind machen, wenn Israel selbst völkerrechtliche Grenzen überschreitet beim Versuch, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. So hat Deutschland weiter Waffen nach Israel geliefert, obwohl die Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs immer lauter wurde. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen haben in den vergangenen Monaten schwere Vorwürfe gegen die Konfliktparteien im Gazastreifen erhoben und auf mögliche Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit hingewiesen. Daher fordern wir von der deutschen Politik, dass sie Stellung bezieht. Staatsräson darf nicht bedeuten, grundlegende Menschenrechte zu ignorieren. Das humanitäre Völkerrecht gilt für alle Menschen in dieser Region. Verstöße müssen unmissverständlich verurteilt und geahndet werden.

Jouanna Hassoun: 
Viele deutsche Politikerinnen und Politiker verteidigen das Vorgehen Israels jedoch bis heute. In Deutschland hat sich dadurch ein Klima etabliert, in dem Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschnitten werden bei jenen, die gegen das massenhafte Töten im Gazastreifen protestieren. Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs steht unter dem Generalverdacht des Antisemitismus. Ja, es ist wichtig, gegenüber jedem Anflug von Antisemitismus wachsam zu sein, gerade in Deutschland. Andersherum ist nicht jede Kritik an Israel antisemitisch. Viele Menschen leben in Deutschland jedoch mit dem Gefühl: Das Leben palästinensischer Menschen ist weniger wert als das von Jüdinnen und Juden. Auch ich. Jeden Tag habe ich im Moment das Gefühl zu ersticken, weil ich nicht gesehen, nicht gehört werde.

Shai Hoffmann: 
In uns hat sich gerade in den vergangenen Monaten der Eindruck verfestigt: Deutschland hat seine Geschichte nie umfänglich verarbeitet. Jedes Kind hört in der Schule vom Nationalsozialismus. Direkt neben dem Brandenburger Tor erinnert das Holocaust-Mahnmal an die sechs Millionen Juden, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten ermordet wurden. Wie kann es sein, dass sich der Antisemitismus nach dem 7. Oktober in einer Weise immer weiter ausbreitet, die uns Angst macht? Dass sich Menschen nicht mehr trauen, sich als Jüdinnen und Juden zu erkennen zu geben?

Jouanna Hassoun: 
Wir erleben oft Abwehrreflexe, wo eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und deren Folgen bis in die Gegenwart nötig wäre. Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die auch die Geschichte der Nakba miteinschließt. Wer »Nie wieder ist jetzt« sagt, dabei nur von Antisemitismus spricht und den antimuslimischen Rassismus ignoriert, übernimmt keine echte Verantwortung, sondern will sich reinwaschen.

Shai Hoffmann: 
Vor 76 Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Seitdem gilt: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde. Für uns bedeutet »Nie wieder ist jetzt«: Es braucht Politikerinnen und Politiker, die sich für einen universellen Begriff von Menschenrechten engagieren. Und Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich diesem Auftrag ebenfalls verpflichtet fühlen. Das ist eine große Aufgabe. Wir erleben das jedes Mal, wenn wir in einem Klassenzimmer Platz genommen haben. Doch sie ist auch lohnend und Sinn stiftend. Bitte meine Damen und Herren: Lassen Sie uns damit nicht allein. Wir sind viele – jede und jeder Einzelne von uns.

Shai Hoffmann, Jouanna Hassoun und Adam Fischer

Düsseldorf, 19. Januar 2025
Fotos © Susanne Diesner