„Gesungen“ hat die Ausnahmekünstlerin in der Tonhalle zwar schon öfter – aber diese Werke präsentiert sie in Düsseldorf zum ersten Mal. Crusells Klarinettenkonzert, das stilistisch dem berühmten Schwesterwerk von Carl Maria von Weber ähnelt, hat Sharon Kam erst im März 2020 auf CD aufgenommen, gemeinsam mit dem ORF-Orchester Wien unter der Leitung ihres Ehemannes Gregor Bühl. Er war auch der Grund, warum die gebürtige Israelin ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlagerte. Heute lebt sie mit ihm und ihren drei gemeinsamen Kindern in Hannover.
Die Klarinette hat Sharon Kam für sich erst relativ spät entdeckt: Mit 12 Jahren lauschte sie im Elternhaus dem Spiel ihrer Mutter, Bratschistin im Israel Philharmonic Orchestra, mit Orchesterkollegen: Sie probten Klarinettenquintette von Mozart und Brahms – und die damals 12-jährige Sharon verliebte sich in den Klarinettenton von Eli Eban, der dann auch ihr erster Lehrer wurde. Es stellte sich als keine leichte Aufgabe heraus, die ungezähmte Energie, mit der die temperamentvolle Israelin sich dieses Instrument erobern wollte, zu bändigen. Doch ihr großer Eifer und ihre Hingabe für die Klarinette wurden belohnt: Schon mit 16 debütierte Sharon Kam mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Metha. Mit 18 ging sie nach New York an die Juilliard School und fand in ihren Lehrern David Shifrin und Charles Neidich große Vorbilder. Mit 21 gewann sie den ARD-Musikwettbewerb, und ab dann standen ihr die Bühnen der Welt offen.
Für hohe Töne brauche man eine besondere Spannung, für die tiefen eine besondere Entspannung. Und wenn sie viel gespielt hat, kann es vorkommen, sagt sie, dass sie heiser wird. Wenn Sharon Kam Ende August mit Crusells Klarinettenkonzert und Lutosławskis Tanzpräludien in der Tonhalle gastiert, kann sie sich in allen Registern buchstäblich aussingen.
Von Anfang an sind die beiden Mozartschen Meisterwerke für die Klarinette ein wesentlicher Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit: Sie spielte Mozarts Klarinettenkonzert in ihrem Orchesterdebüt, wenig später sein Klarinettenquintett gemeinsam mit dem Guarneri Quartet in New York. Zu Mozarts 250. Geburtstag interpretierte sie sein Klarinettenkonzert im Ständetheater in Prag, das vom Fernsehen live in 33 Länder übertragen wurde und erfüllte sich im gleichen Jahr den Wunsch, sowohl das Konzert als auch sein Klarinettenquintett mit der Bassett-Klarinette aufzunehmen.
Als begeisterte Kammermusikerin arbeitet Sharon Kam mit Künstlerfreunden wie Isabelle Faust, Gustav Rivinius, Julian Steckel, Lars Vogt, Christian Tetzlaff, Enrico Pace, Daniel Müller-Schott, Leif Ove Andsnes, Carolin Widmann und dem Jerusalem Quartett. Sie ist regelmäßiger Gast bei Festivals wie Schleswig-Holstein, Heimbach, Rheingau, Risør, Cork, Verbier, der Schubertiade und in Delft. Ihr Engagement für zeitgenössische Musik lässt sich an vielen Uraufführungen ablesen, darunter Pendereckis Klarinettenkonzert und Quartett sowie Konzerte von Iván Erőd und Peter Ruzicka.
Sharon Kam wurde bereits zweimal mit dem ECHO Klassik als »Instrumentalistin des Jahres« ausgezeichnet. Für die Aufnahme »American Classics« mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung ihres Ehemannes Gregor Bühl erhielt sie den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. 2013 folgte ihre gefeierte »Opera!«-CD mit Transkriptionen von Opernarien für Klarinette und Kammerorchester. Zum 100-jährigen Todestag Max Regers hat sie mit Isabelle van Keulen, Ulrike-Anima Mathé, Volker Jacobsen und Gustav Rivinus die Klarinettenquintette von Reger und Brahms veröffentlicht. Ihr neues Trio-Album »Contrasts« mit ihren langjährigen Partnern Ori Kam und Matan Porat wurde gleich nach Erscheinen auf die Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik gesetzt.
Und was ist das Geheimnis ihres nunmehr 35-jährigen Bühnenerfolges? Es ist wohl vor allem eins: Die große Liebe zu ihrem Instrument, die sie auch an ihre Studenten versucht weiterzugeben: „Sie müssen nicht gegen die Klarinette kämpfen. Die Klarinette ist wie ein Teddybär, den man umarmen muss, und mit dem man ganz sanft und zärtlich umgeht.“
(22. August 2022)
Fotos Sharon Kam: Maike Helbig