07. / 09. / 10. März 2025
Düsseldorfer Symphoniker
Alina Ibragimova, Violine
Michael Sanderling, Dirigent
FR 07. März 2025 19:00 Uhr
Star Talk mit Michael Sanderling
SO 09. März 2025 13:30 Uhr
Jazz Brunch mit becker & band
MO 10. März 2025 19:00 Uhr
Star Talk mit Alina Ibragimova
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Konzert für Violine und Orchester D-Dur Op. 61
1. Allegro ma non troppo
2. Larghetto – attacca
3. Rondo (Allegro)
ca. 45 Minuten
zuletzt gespielt am 08.07.2019 unter Axel Kober mit Ray Chen als Solist
Pause
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Symphonie Nr. 11 g-Moll »das Jahr 1905«
1. Der Palastplatz: Adagio
2. Der 9. Januar: Allegro – Adagio – Allegro – Adagio
3. Ewiges Andenken: Adagio
4. Sturmgeläut: Allegro non troppo – Allegro – Moderato – Adagio – Allegro
ca. 65 Minuten
Erstaufführung der Düsseldorfer Symphoniker
Zemlinsky
23. Psalm für gemischten Chor und Orchester
Alexander Zemlinsky wuchs in der Wiener Leopoldstadt auf, dem traditionell jüdischen Stadtbezirk der multikulturellen Donaumetropole. Seine Mutter Clara war eine jüdisch-muslimische Jüdin, sein Vater Adolf stammte aus einem katholischen Elternhaus, konvertierte aber kurz vor Alexanders Geburt zum jüdischen Glauben und wurde Sekretär der türkisch-israelitischen Kultusgemeinde in der Leopoldstadt. Zemlinsky ging kurzzeitig auf eine sephardische Schule, sang und spielte Orgel im nahegelegenen Tempel. Doch bald löste er sich von diesen Bindungen. 1899 trat er aus der jüdischen Gemeinde aus und konvertierte, wie so viele Künstler im zunehmend antisemitischen Wien, einige Jahre später zum Protestantismus. Ein Schritt, der mehr aus Pragmatismus als aus Überzeugung geschah. Denn Religion und Politik waren für Zemlinsky stets von untergeordneter Bedeutung.
Auch dass er im Jahre 1910 den 23. Psalm vertonte, war einem äußeren Anlass zu verdanken: Zwei Jahre zuvor hatte sich in Wien durch den Zusammenschluss mehrerer Chöre ein »Philharmonischer Chor« gegründet, dessen Leiter kein Geringerer als Franz Schreker war. Bald wurde Zemlinsky um ein kurzes Stück für Chor und Orchester gebeten. Seine Wahl fiel schnell auf den 23. Psalm, dessen Verse sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Tradition wurzeln. Beides ist in der Musik allgegenwärtig, sie trägt aber auch – wie immer bei Zemlinsky – sehr persönliche, weltliche, sogar erotische Züge. Der erste Teil erinnert mit seinem hellen, durchsichtigen Timbre an eine rituelle Tempelmusik – eine kontemplative Prozession. Im mittleren Abschnitt entfaltet sich eine schwelgerische, an Zemlinskys spätromantische Märchenoper »Der Traumgörge« erinnnernde Polyphonie, die sich leidenschaftlich steigert und in harmonisch weit entfernte Regionen führt. In der zarten Coda kehren – wie ein letzter Blick durch ein Kirchenfenster – die vielfarbigen, gläsernen Klänge des Beginns wieder.
Zemlinskys bekannteste seiner drei Psalmvertonungen ist wie eine musikalische Visitenkarte. Nicht nur erklingt auf Schritt und Tritt eine Tonfolge, die sich wie ein persönliches Leitmotiv durch sein gesamtes Schaffen zieht. Das ganze Werk ist exemplarisch für die Ästhetik dieses Komponisten, der Brahms und Wagner gleichermaßen liebte und den expressionistischen Experimenten seines Freundes und Schwagers Arnold Schönberg bis zu einem gewissen Grad folgte. Der vor allem aber all diese Eindrücke und Einflüsse in eine unverwechselbare eigene musikalische Handschrift zu gießen vermochte. Wie geschmeidig sich im »23. Psalm« verschiedenste Klangwelten in einem nur zehnminütigen Werk verbinden und Geistliches und Weltliches ineinanderfließt, sucht seinesgleichen.
Beethoven
Konzert für Violine und Orchester
Der seinerzeit berühmte Geiger Ignaz Schuppanzigh hat sich Beethoven gegenüber einmal die Bemerkung erlaubt, eine bestimmte Stelle in der Geigenstimme eines seiner Werke sei nicht spielbar. Beethoven reagierte gereizt: »Was geht mich seine verfluchte Fidel an, wenn der Geist zu mir spricht!« Ein Satz, der für Beethovens Musik Bände spricht – und die Machart seines einzigen Violinkonzerts wunderbar beschreibt. Denn Beethoven war keiner, der auf die Belange von Instrument und Interpret sonderlich achtete. Ihm ging es nur um den spezifischen Ausdruck, den er im Sinn hatte. So wurde auch diese Konzertalles andere als ein typisches Virtuosenstück, in dem die Solistin oder der Solist mit halsbrecherischer Fingerfertigkeit brillieren kann. Er verzichtet darauf, den Teppich für eine Show auszurollen und schuf – vielleicht gerade deswegen – eines der bedeutendsten Solokonzerte des Repertoires.
An die Stelle des virtuosen Glanzes trat vor allem eine Tiefe der Empfindung, wie wir sie aus älteren Solokonzerten kaum kennen. Beethoven besinnt sich ganz auf die gesanglichen Qualitäten der Geige. Im Kopfsatz sind sogar beide Hauptthemen lyrisch gehalten. Dramatisches und Konflikthaftes entsteht aus kleinen markanten »Störungen«, seien es die pochenden, die vier Paukentöne des Beginns weiterdenkenden Tonwiederholungen auf dem »falschen« dis direkt nach dem ersten Thema, oder die nachgerade widerborstige ff-Passage, die sich direkt an das geschmeidig aufwärts gleitende zweite Thema anschließt. In diesem riesigen Satz spinnt Beethoven dann aus den exponierten Motiven ein symphonisches Gewebe, in dem die Solovioline nicht die Herrschaft übernimmt, sondern als Gleiche unter Gleichen auftritt. Es ist wie ein Gespräch auf Augenhöhe. Vorder- und Hintergrund sind beständig in changierender Bewegung: ein außerordentlich modernes Konzept.
Auch im Larghetto steht das Gesangliche im Vordergrund. Der intime Ton des Satzes gibt der Vermutung, das Konzert sei im Grunde Beethovens großer unerfüllter Liebe Josephine von Brunsvik gewidmet, wohl am meisten Nahrung – zumal die erste Tonfigur wie eine Anrufung des Namens Jo-se-phi-ne klingt.
Das Finale, dessen markantes Rondothema wie so oft bei Beethoven nur aus einer reinen Dreiklangsbrechung besteht, ist naturgemäß vorwärtstreibender. Beethoven strotzt vor Bewegungsdrang, lässt aber in Sachen Vehemenz auch nicht alles raus: »Ein Tiger auf dem Sprung«, wie Steffen Georgi so treffend schreibt.
Schostakowitsch
Symphonie Nr. 11 g-Moll
Die Musik Dmitri Schostakowitschs ist wie kaum eine andere beeinflusst von den politischen und persönlichen Umständen, in denen sie entstanden ist. Dies gilt insbesondere für seine 11. Symphonie von 1957. Sie trägt den Titel »Das Jahr 1905« und bezieht sich konkret auf den 9. Januar dieses Jahres, der als »Petersburger Blutsonntag« in die Geschichte eingegangen ist. An diesem Tag marschierten Zehntausende von Arbeitern zum Winterpalast, um Acht-Stunden-Werktage, eine Amnestie für politische Gefangene, menschenwürdige Betriebsbedingungen, Agrarreformen, die Abschaffung der Zensur und religiöse Toleranz zu fordern. Sie wollten dem Zar eine Petition mit über 135.000 Unterschriften persönlich überreichen. Dessen Streitkräfte attackierten die Menge auf brutalste Weise. Hunderte wurden verletzt oder getötet.
In seiner 11. Symphonie hat Schostakowitsch dieses Trauma verarbeitet und weitergedacht, denn er schlägt einen Bogen von jenen Ereignissen in seine Gegenwart. Dem Journalisten Solomon Volkov sagte er: »Mir scheint, dass sich in der russischen Geschichte vieles wiederholt. Natürlich wiederholt sich ein Ereignis nicht in derselben Weise. Selbstverständlich sind da Unterschiede. Aber vieles wiederholt sich trotzdem. Diese Wiederholbarkeit wollte ich in der 11. Symphonie zeigen. Ich komponierte sie 1957. Und sie bezieht sich auf die Gegenwart von 1957, obwohl ich sie ›Das Jahr 1905‹ genannt habe.« Unmissverständlich legt er den Finger in die Wunde des ungarischen Volksaufstands von 1956, der von den Sowjet-Truppen erbarmungslos niedergeschlagen wurde. Das Wort »Wiederholbarkeit« legt nahe: Über die historischen Ereignisse hinaus ging es Schostakowitsch vor allem um die geschichtliche Urerfahrung, in der Zivilisten einer hochgerüsteten Macht schutzlos gegenüberstehen.
Dies alles schlägt sich unmittelbar in der Musik nieder. Dass die Symphonie aus vier Sätzen besteht, ist fast schon das Einzige, was sie mit der großen Gattungstradition verbindet. Den formalen Rahmen füllt Schostakowitsch mit einer gestischen, erzählerischen, oft filmisch anmutenden Musik. Statt mit Haupt- und Seitenthemen zu arbeiten, zitiert er in allen Sätzen mehr oder weniger bekannte Revolutionslieder und auch Momente aus seinen eigenen »Liedern auf Texte revolutionärer Dichter«.
Im ersten Satz »Der Palastplatz« erklingt eine Musik der Vorahnung. Man spürt förmlich die unheimliche Ruhe, die Leere, die Kälte und die Anspannung, die vor dem Massaker über dem Schauplatz liegt. Noch im Hintergrund, aber stets präsent: Trompetensignale und Paukengrollen als musikalische Insignien der Macht.
Der zweite Satz »Der 9. Januar« ist nichts anderes als eine Schilderung des Massakers. Das Allegro steigert sich zu einem ersten aggressiven Höllenritt, verstummt dann fast, um einsamer Verzweiflung Raum zu geben. Auch auf eine zweite Steigerungswelle folgt ein Moment der Besinnung. Ein Bläserchoral (eine Vorahnung der Totenfeier?) ist die Brücke zur finalen, gnadenlos durchgepeitschten Mordlust. Nach dem katastrophischen Höhepunkt verfällt die Musik in Agonie, wie eingefroren klingen Choral, Trompetensignale und Militärtrommeln nach.
Der dritte Satz »Ewiges Andenken« ist eine Totenklage, getragen von der in den Streichern intonierten Ode »Unsterbliche Opfer«. Das Lied in der Art eines Trauermarsches ist eines der bekanntesten Lieder der Arbeiterbewegung – und war übrigens auch im DDR-Fernsehen zu den Trauerzeremonien von Leonid Breschnew, Juri Andropow und Konstantin Tschernenko zu hören.
Der vierte Satz »Sturmgeläut« verläuft wie der zweite in mehreren Steigerungswellen. Vor allem im von den Holzbläsern getragenen Mittelteil erklingen Reminiszenzen an die vorherigen Sätze. Wieder zitiert Schostakowitsch eine Arbeiterhymne, diesmal die »Warschawjanka«, die »Marseillaise Polens«. Auch ein Marsch, aber von ganz anderem Ausdruck. In der Sowjetunion war die Hymne sehr populär, hatte ihren Ursprung aber im polnischen Freiheitskampf – gegen Russland! Um genau diese Überzeitlichkeit dürfte es Schostakowitsch in seiner Elften insgesamt gegangen sein. Die Ereignisse von 1905 dienen als Muster, das sich in seiner Gegenwart wiederholt hat – und für dessen Fortschreibung bis heute kein Ende in Sicht ist. Die Schlussapotheose, die einen Sieg im Kampf gegen die Obrigkeit einzuläuten scheint, ist ambivalent. Das Glockengeläut in g-Moll legt sich wie ein Fragezeichen über das G-Dur des riesigen Orchesters.