In puncto Liebe ließ Mozart bekanntlich nichts anbrennen. Als die geplante Hochzeit mit der Mannheimer Star-Sängerin Aloysia Weber, der er zahlreiche Arien auf die »seelenvolle Stimme« schrieb, scheiterte, führte er 1782 ihre jüngere Schwester Constanze zum Traualtar. Es sollte eine Liebesheirat werden, keine zeitübliche Zweckehe. »Dieses Bekenntnis zum Gefühl, diese Entdeckung der Liebe spiegelt sich in [Mozarts] gesamten Opernschaffen« (Dieter Borchmeyer). Mozarts amouröse Selbstverwirklichung schwinge im Subtext stets mit.
In Mozarts echtem Leben »schwingen mit«: die Prager Sopranistin Josepha Duschek, die Berliner Sängerin Henriette Baranius, die britische Sopranistin Nancy Storace, die »Zauberflöte«-Uraufführerinnen Barbara Gerl (Papagena) und Anna Gottlieb (Pamina) sowie die mit vielen Anzüglichkeiten bedachte Cousine Maria Anna Thekla, liebevoll »Bäsle« genannt. Übertroffen wird die Liste seiner Eroberungen nur durch Mozarts hyperbolisches Alter Ego Don Giovanni in der legendären Registerarie seines Dieners Leporello: »In Italien, 640 / In Deutschland, 231 / 100 in Frankreich, in der Türkei 91 / Aber in Spanien schon 1.003 … 1.003 … 1.003!« Macht zusammen 2.056
Laut Peter Sloterdijk sei »Leporellos Formular« allerdings« weder ein »Erfolgsverzeichnis noch ein Sündenregister«. Es erfasse »alle informativen Fälle von männlicher Nähe zur weiblichen Welt«. »Il catalogo è questo […] verzeichnet die intrauterinen Herzschlag-Tempi der Mutter, aus denen die rhythmischen Modi der klassischen und populären Musik hervorgehen, er endet bei dem Händedruck der Nachtschwester im Hospiz, die dich bei der Ausreise aus dem Dasein fragt, ob du noch etwas zu verzollen hast« (Peter Sloterdijk, Das Schelling-Projekt).
Eine Liebschaft sollte Mozarts »Register-arie« vor der Zeit beenden und ihn direkt ins »Hospiz« befördern: die Beziehung zu seiner Klavierschülerin Magdalena Hofdemel, Gattin seines Logenbruders Franz. Nur einen Tag nach Mozarts Tod am 5. Dezember 1791 mit 35 Jahren, offiziell an »hitzigem Frieselfieber«, geht Hofdemel mit einem Rasiermesser auf seine 23-jährige schwangere Frau los und fügt ihr schwerste Schnittverletzungen zu. Danach schlitzt er sich die Kehle auf und verblutet. Nach den Recherchen des britischen Historikers Francis Carr habe Hofdemel Mozart zuvor langsam, aber sicher mit Aqua Tofana, einem unauffälligen Gemisch aus Arsen und Bleioxid, vergiftet (Mozart & Constanze, 1984). Laut Constanze argwöhnte Mozart schon im Sommer seines Todesjahres: »Ich weiß, ich muß sterben, jemand hat mir Aqua Tofana gegeben.« Gerichtsfest beweisen lässt sich das zwar nicht, aber Carrs Detektivarbeit ist unter den über 150 Theorien zum Tod Mozarts eine der schlüssigsten.
»Der Tod der Untreuen gleicht stets ihrem Leben«. Mit diesen Worten fährt Don Juan in die Hölle. Man könnte sie auch unter Don Amadeus‘ kurzes Leben schreiben.
Lina und Mira – »der Fall Prokofjew«
Gegen Mozarts »Registerarie« nimmt sich diejenige Prokofjews bescheiden aus. Sie verzeichnet nur zwei Einträge, die aber haben es in sich. Sergej Prokofjew trifft seine erste Frau, die spanisch-ukrainische Sängerin Lina Llubera, im Dezember 1918 bei einem Konzert in der Carnegie Hall in New York. Er sitzt am Flügel, sie im Publikum. »Er spielte sein erstes Klavierkonzert und ich war hin und weg. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas Vergleichbares gehört. Weder im rhythmischen Sinn noch in der Leichtigkeit … Ich habe applaudiert wie verrückt.« Noch am selben Abend wird Lina Sergej vorgestellt. Er ist ebenfalls hin und weg. Sie ziehen nach Paris, dann ins bayrische Ettal, wo sie 1923 heiraten und zwei Söhne bekommen.
Doch die familiäre Idylle trügt. Der Ehealltag mit der temperamentvollen Halbkatalanin ist von heftigen Streitereien geprägt, auf die stürmische Versöhnungen folgen. Das Wechselbad der Gefühle schlägt sich in Prokofjews Oper »Der feurige Engel« nieder, an der er 1922/23 in der Nähe des Ettaler Klosters konzentriert arbeitet. Die halluzinative Reise zur Nachtseite der Leidenschaften basiert auf dem gleichnamigen Roman des russischen Symbolisten Waleri Brjussow (1907), in dem dieser seine obsessive Dreiecksbeziehung in das Gewand eines Ritterromans kleidet. Der aus Amerika zurückgekehrte Ritter Ruprecht versucht in einer deutschen Herberge die junge, von Wahnvorstellungen getriebenen Renata von ihrer sexuellen Besessenheit zu einem anderen Mann zu befreien. Vergeblich! Verzweifelt geht Renata ins Kloster. Doch der Leibhaftige will trotz exorzistischer Fachhilfe vom Inquisitor nicht ausfahren. Stattdessen fährt er in die anderen Nonnen und versetzt sie in sexuelle Ekstase. Dem Gottesmann bleibt leider nichts anderes übrig, als die Unverbesserliche als Ketzerin zum Tod auf dem Scheiterhaufen zu verurteilen.
Ganz ähnlich wird Lina später als »klassengefährliches Element« der »Inquisition« der KPdSU zum Opfer fallen. Stein des Anstoßes: Prokofjews zweiter »feuriger Engel« Mira Mendelson. Er begegnet der 23-jährigen Literaturstudentin 1938 in Moskau, nachdem er mit seiner Familie
in die russische Heimat zurückgekehrt ist. 1941 verlässt Sergej Frau und Söhne und zieht mit Mira zusammen, die seine Co-Librettistin wird. Im Duett schreiben sie vier Opern. Darunter die vierstündige Vertonung von Tolstois Nationalopus »Krieg und Frieden« (1941), das durch den deutschen Überfall auf die Sowjetunion maximale Aktualität gewonnen hat. Der große Krieg spiegelt sich auch im Kleinen: Prokofjew und Mira konzentrieren sich im ersten Teil ganz auf das Dreiecksdrama zwischen Natascha, Fürst Andrej und ihrem Verführer Anatol Kuragin, der seine erste Ehe verschwiegen hat. Hier scheint das Ehedrama Prokofjews vorgezeichnet: 1948 heiratet er Mira, ohne dass Lina der Scheidung zugestimmt hätte. Prokofjew macht sich ein neueres Gesetz zunutze, nach dem im Ausland geschlossene Ehen von den sowjetischen Behörden bestätigt werden müssen. Da die Prokofjews die Registrierung versäumt haben, kann er Mira ohne Linas Zustimmung heiraten. »Der Fall Prokofjew« ist seitdem ein fester Terminus in juristischen Lehrbüchern.
Ohne ehelichen Schutz ist Lina Prokofjewa als Ausländerin im Kalten Krieg schnell verdächtig. Nur fünf Wochen nach der Hochzeit mit Mira wird sie auf offener Straße in Moskau verhaftet und als Spionin zu 20 Jahren Haft im sibirischen Arbeitslager verurteilt. Nur durch ihr sonniges Gemüt überlebt sie die Eiseskälte am Polarkreis. Prokofjew selbst hat weniger Glück; seine Gesundheit nimmt nach einer schweren Gehirnerschütterung rapide ab. Die Ironie des Schicksals lässt ihn am 5. März 1953, am gleichen Tag wie »Großinquisitor« Stalin, das Zeitliche segnen. Lina wird im politischen Tauwetter der Chruschtschow-Ära 1956 vorzeitig entlassen. 1974 verlässt sie die Sowjetunion in Richtung Paris und London. Außerhalb der UdSSR behält sie als legitime Witwe Prokofjews – Mira ist 1968 verstorben – die Rechte an seinen Werken und lebt von den Tantiemen. Ihrem Mann scheint sie engelhaft vergeben zu haben: 1983 gründet sie die Sergej Prokofiev Foundation und das Prokofjew-Archiv, das sie bis zu ihrem Tod 1989 verwaltet.
Die Schöne und der »Zwerg« – Alma und Alex
Im Februar 1900 trifft die 21-jährige, bildhübsche Alma Schindler in der Wiener Villa Spitzer auf den 29-jährigen Komponisten Alexander Zemlinsky, der als große Hoffnung der Wiener Musikszene gilt. Sie notiert in ihr Tagebuch: »Eine Carricatur – kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen und einem zu verrückten Dirigieren.« Zwei Wochen später bei einem Gespräch über Wagners »Tristan« verwandelt sich der »scheußliche Gnom« dann vor ihren Augen, »dass er nicht wiederzuerkennen war. Er wurde ordentlich hübsch. Jetzt verstanden wir uns. Er gefällt mir sehr - sehr.« Um ihm näherzukommen, beschließt sie: »Ich möchte beim Zemlinsky lernen.«
Dieser nimmt Alma in seinen erlauchten Wiener Schülerkreis auf. Von ihren musikalischen Qualitäten kann sie ihn zwar nicht überzeugen – »Es sind in [deinen] Liedern so unerhört viele Fehler, dass mir der Kopf brummte« –, von ihren erotischen dafür umso mehr. Die beiden beginnen eine stürmische Liebesbeziehung. »Ich will dich - mit jedem Atom meines Fühlens«, lechzt er. »Gieß deinen Überfluss in mein Weihebecken«, lockt sie. Zu ehelichen Weihen kann sie sich allerdings nicht durchringen. »Wenn ich mit Z. … am Altar stehen würde – wie lächerlich das doch sein würde … Er so hässlich – so klein, ich so schön – so groß« (Tagebucheintrag 21.04.1901). Es fehlt dem kleinen Alex (1,59 m) aber vor allem an gesellschaftlicher Größe. Tief gekränkt schreibt er im Mai 1901: »Meine Liebe, Du betonst … so oft Du nur kannst, wie lächerlich wenig ich bin und habe, wie viel mich ungeeignet macht, Dir zu gehören! Hast Du so viel zu geben …, dass andere Bettler dagegen sind?! Liebe gegen Liebe, sonst kenne ich nichts.« Sie kennt durchaus »andere« und heiratet im März 1902 Gustav Mahler. Der ist mit 1,63 m zwar nicht viel größer, aber immerhin erster Kapellmeister und Direktor der Wiener Hofoper.
Eine florentisch-wienerische Tragödie
Der erotische Klassenkampf zwischen der »Dame fatale« und Zemlinskys »Bettlertum« hat sich tief in seine Musikdramen eingeschrieben. In dem Einakter »Eine florentinische Tragödie«, basierend auf einem Theaterstück Oscar Wildes, überrascht der Tuchhändler Simone seine Braut Bianca in den Armen des florentinischen Prinzen Guido Bardi. Das Dreiecksdrama wird zur politischen Allegorie: »Ist die ganze mächtige / Welt in dieses Zimmers Umfang eingeengt / und hat drei Seelen als Bewohner nur? / So sei der dürft'ge Raum jetzt eine Weltenbühne.« Es kommt zum Duell. Simones »angerostetes Schwert« kreuzt Bardis Klinge aus »Ferraras Stahl … geschmeidig wie die Schlange«. Doch Simones Schwert erweist sich als »härter geglüht«. Er entwaffnet Bardi, dann erwürgt er ihn. Bianca, von der Wucht des Ereignisses überwältigt – »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so stark?« –, sinkt vor Simone auf die Knie.
Das tut Alma leider nicht. Nach der Uraufführung am 30. Januar 1917 in Stuttgart zeigt sie sich wenig begeistert. Zemlinsky kontert mit scharfer Feder: »Zwei Menschen, beide mit hohen Eigenschaften, leben durch des Schicksals Tücke aneinander vorbei. … Eine furchtbare Katastrophe ist notwendig, um beide zum Bewusstsein zu bringen ... Und Sie, gerade Sie haben das missverstanden?«
»Der Zwerg«
In seiner nächsten Oper treibt Zemlinsky das »Drama des kleinen Mannes« auf die Spitze. In »Der Zwerg, ein tragisches Märchen für Musik in einem Akt« (1922) nach Oscar Wildes Kunstmärchen »Der Geburtstag der Infantin« bekommt die schöne Prinzessin Donna Clara zu ihrem 18. Geburtstag ein »scheußlich-schönes« Geschenk: einen missgestalteten Zwerg, der von seiner Hässlichkeit nichts weiß und sich für einen vollendenten Prinzen hält. Beim Anblick der Prinzessin verliebt er sich unsterblich und verzaubert sie fortan mit seinem Gesang. Donna Clara erwidert die Liebe vermeintlich, verführt ihn zum Tanz und schenkt ihm eine weiße Rose. Überglücklich reißt der Zwerg den Vorhang von einem der Spiegel und sieht sich zum ersten Mal selbst: »Nein, nein! Du bist ein Gespenst, nicht ich!«. Dann erblickt er die weiße Rose in seinem Spiegelbild: »Er ist wie ich! … So bin ich der Spuk, … das höckerige Grauen.« Er bricht zusammen und stirbt. Donna Clara interessiert das wenig: »Geschenkt und schon verdorben, das Spielzeug zum achtzehnten Geburtstag. Gut, ich tanze weiter.«
Mit schrägen Streicherglissandi und lauten Dissonanzballungen zerreißt Zemlinsky das melodische Lügengewebe, das der Zwerg um seine Illusion gesponnen hat. Die autobiographischen Züge sind unüberhörbar: »Ich bin also furchtbar hässlich?! Also angenommen!«, schrieb er am 27. Mai 1901 an »Donna Alma«. Aber: »Ich lasse mit mir nicht spielen.« Zemlinskys Librettist, der Drehbuchautor Georg C. Klaren – ein Kenner Sigmund Freuds – charakterisiert seinen Auftraggeber »vom sexualpathologischen Standpunkte« als »Masochist« mit einer »abnormalen Hypersensibilität«: »Ein Mensch ist unter Menschen gestellt, ohne zu wissen, dass er anders geartet ist als sie, … und er zerschellt am Weibe, das nicht zur Kenntnis seines tiefsten Wesens gelangen will, …, sondern mit ihm spielt.« (Zemlinsky, vom psychologischen Standpunkte, 1921)
Auch die Nachwelt will Zemlinskys »tiefstes Wesen« lange nicht zur Kenntnis nehmen. 1939 emigriert er in die USA und stirbt verbittert am 15. März 1942 nach langer Herzkrankheit. Sein Werk gerät in Vergessenheit und wird erst in den 1970er Jahren wiederentdeckt. Der Judenverfolgung und dem Zweiten Weltkrieg ist er im letzten Moment entronnen, dem »Schlachtfeld der großen Gefühle« leider nicht.